Der Modeberater vom Strand von San Pietro möchte in die Schweiz



Die Märkte in Süditalien lassen nicht Federn, 

verlieren aber zunehmend Kunden. Die grossen „Supermercato“ vom hohen Norden kommend, mit Lidl sogar von ennet der Alpen, leiten mit geschickt gesteuerten Angeboten das Marktsterben ein. Der Markt des Weinortes Manduria ist nur noch ein Schatten seiner selbst. Vor 30 Jahren erlebte ich den „Mercato“ jeden Dienstag als „das“ Einkaufserlebnis mitten in der Stadt. 

Unterdessen dreht Mohammed aus Marokko strandauf, strandab seine Runden, nicht müde werdend, immer wieder fast flehend zu rufen „Signora, Signora!“ 

Der Mann könnte „Signore Zalando“ heissen, dachte ich mir, so ordentlich zahlreich verkauft er seinen Aushang an Frauen jeden Alters und jeden Umfangs. Die Komplimente verteilt er umwerfend positiv für jede noch so Unförmige, die sich prüfend ein Kleidungsstück vor den Body hält: „Molto bella Signora! Molto bella siete!“

Mein Wissensstand erlaubte mir vorzustellen, wer wo, wie und unter welchen Bedingungen diese Klamotten hergestellt hat, den da Touristinnen an sich reissen.

Wo meine Signora sei, wollte Mohammed wissen, als ich ihn und sein Angebot neugierig musterte. 

Mein Galgenhumor rutschte mir über die Zunge. Der Teufel hätte sie geholt, sagte ich ihm herzhaft lachend. Solches zu hören, entlockte auch Mohammed ein Lachen. Seine Zähne!  Wie abgestorbene, unordentliche braune Setzlinge reihten sie sich auf. Seine Zähne verrieten letztlich seinen Lebensstandard: Traurig! 

Und Mohammeds Zutraulichkeit? Grenzenlos! 

„Ah Svizzero! La Suisse est jolie!“ 

Er wolle unbedingt dorthin, meinte er! 

Wann ich heimfahre? 

Ich solle ihn doch mitnehmen! 

Das ginge nicht, erwiderte ich abweisend. 

„Warum nicht? Warum?“

Im zweiten Warum entnahm ich grosses Unverständnis und Unbehagen, das seinem Warum einen aggressiven Unterton verlieh. Nach weiteren abweisenden Erklärungen fand ich den Schlüssel, ihn zu besänftigen, ihm ein Stück Hoffnung nach dem Paradies auf Erden zu lassen. Ich dachte an das Forum „Olten“ im Internet, dachte an die vielen guten Menschen, die sich dort in unendlichen Diskussionen als solche orten. Vielleicht zeige hier jemand Bereitschaft, 

der Mohammed abhole, 

ihn aufnähme, 

ihm auf eigene Kosten die Zähne in Ordnung brächte, 

ihm ein Zuhause mit geregeltem Tagesablauf böte, 

ihn in unsere Kultur einführte, 

ihm eine Ausbildung ermöglichte, 

ihm seine Wünsche nach dem Paradies erfüllte, ohne dass die Allgemeinheit angezapft werden müsste, einfach etwas vom eigenen Wohlstand hergebend! 

Ich könne ja mal schauen, ob ich jemand fände, der ihn aufnehme, erzählte ihm von vielen guten Menschen in meinem Umfeld, die durchaus Verständnis für seinen Wunsch aufbrächten. Die Chancen seien zwar nicht sehr gross, weil der Aufwand und die Kosten beträchtlich seien, tröstete ich Mohammed. Aber hoffen dürfe man ja immer. Schliesslich hätte ich Philippo von der Sala Bianca an der chidro specchiarica auch gesagt, ich könne doch keinen Käufer finden, der eine Million Franken für sein Hotel aufwerfe. 

Ein halbes Jahr später wirtete ein Paar aus der Schweiz in der Sala Bianca zu San Pietro in Bevagna. Bei so vielen guten Menschen in der Schweiz könne man immer hoffen, dass er hier abgeholt würde. Mohammed zog darauf weiter. Über seinem Geschäft türmen sich Wolken. Wie lange eine italienische Mafia noch ihr Riesenlager in Bologna betreibt, weiss Mohammed nicht. Sie beliefert von dort aus ihn und weitere „Strandläufer“, fast alles Billigarbeitskräfte aus Afrika. Wo diese Menschen wohnen und schlafen, interessiert diese Mafia nicht. In San Pietro in Bevagna schlafen sie auf ausgelegten Kartonschachteln im „Foresta“, einem kleinen Pinienwäldchen. Wenn in der Morgenfrühe die städtische Putzequipe kommt, müssen sie die Lager räumen. Alles geschieht wortlos, wie einstudiert. Freunde werden die Strandläufer und die Putzequipen wohl nie. Zuviel Unrat hinterlassen diese nach jedem Räumen der Schlafstätten. Die Kartons werden für die folgende Nacht hinter der Kirche zwischengelagert. Anschließend waschen  sich einige wenige Strandläufer an der Wasserstelle, dort, wo die Einheimischen ihr Trinkwasser abfüllen. Hahnenwasser in San Pietro ist nicht trinkbar. 

Mohammed muss übrigens seine Ware selber in Bologna abholen. Zwei Tagesreisen auf eigene Kosten seien das. 

Vorauszusehen ist, dass das Geschäft mit dem Kleiderverkauf am Strand zu stocken beginnt. Auch Italien hat halt eine Post, die Internetware billig ins Haus liefert, sandfrei, nota bene!